Ferien vom Krieg 2008

Augen voller Aufregung, lachende Gesichter, ansteckende Begeisterung und Träume, die Wirklichkeit werden,… all das beschreibt die beiden Sommercamps, die nun im dritten Jahr von Neve Shalom/Wahat al Salam für Kinder aus Flüchtlingslagern in der Westbank durchgeführt wurden.

Dieses Jahr gab es zwei Freizeiten, um mehr Kindern neue Hoffnung zu geben, die sonst kaum eine Chance haben ihre Träume zu leben. Für die Kinder in Lagern ist das Leben außerhalb nur ein Traum. In diesem Sommer konnten 86 Kinder, meist aus dem Flüchtlingslager Tulkarem, in zauberhaften Tagen ihre Augen für ein neues Leben öffnen. Ihnen wurden ungewohnte Möglichkeiten geboten, die für andere Kinder selbstverständlich sind.

Kinderträume in Flüchtlingslagern in Palästina sind nicht wie die Träume von Kindern in den meisten anderen Ländern. Während ein achtjähriges Kind in London davon träumen mag in die USA zu reisen, träumt das Kind aus Tulkarem davon einen Flughafen zu sehen. Ein zwölfjähriger Israeli mag von einem Trip nach Disneyland träumen, aber das Kind aus Askar träumt davon für einen Tag nach Wahat al Salam zu kommen. Die Erholungsmöglichkeiten, die ihnen in diesem Sommer in der Oase des Friedens zur Verfügung standen, gibt es – wenn überhaupt – nur sehr selten für diese Kinder. Die Angebote waren Schwimmen im Pool der Friedensoase, vielfältige Sportmöglichkeiten, Kunsthandwerk, Kochen und Backen sowie Ausflüge nach Jerusalem und Jaffa, in den Zoo und eine Tropfsteinhöhle.

Die Sommer-Camps waren in diesem Jahr etwas anders organisiert als die vorangegangenen. Die Grundschule betreute das Projekt von Anfang bis Ende. Die beliebte Lehrerin Reem Nashef war zunächst besorgt etwas so logistisch Anspruchsvolles zu übernehmen, aber dann übernahm sie auch die Zubereitung der ganzen Verpflegung für die Kinder in der Schule. Sie fuhr nach Ramle, kaufte frisches Obst und Gemüse, und nach Jerusalem für frisches Fleisch. Frisch gebackenes Brot wurde täglich aus Abu Ghosh geholt. Amal und Leah vom Büro der Schule fanden sich an einem etwas anderen Arbeitsplatz wieder, sie kochten für die Kinder!

 

Reem sagte, das Gute daran, dass die Verpflegung in der Schule zubereitet wurde, war, dass diese chronisch unterernährten Kinder sich jederzeit ein Sandwich nehmen konnten. Wenn sie hungrig waren, mussten sie nicht bis zur Essenszeit warten, sondern konnten sich selbst auf der Stelle etwas zu essen machen.

KHALTO (TANTE) REEM

Vor dem Eröffnungstag setzte sich Reem mit den Gruppenleitern zusammen, Schülerinnen und Schülern der Oberstufen aus dem Dorf, um die verschiedenen Aktivitäten, die Aufteilung der Kinder in Gruppen und weitere Details zu besprechen.

 

Als Reem am Checkpoint die Kinder abholte, wurde sie mit Umarmungen begrüßt und bekam schnell die liebevolle Bezeichnung „Khalto Reem“ (Tante Reem) als Zeichen des Respekts. Sie war angenehm davon überrascht, wie gut erzogen die Kinder waren. „Ich fand es erstaunlich zu sehen, wie gut sich die Kinder verhielten. Sie befolgten die Anweisungen und Regeln des Lagers jederzeit“, sagt sie.

Die Kinder wurden in Gruppen eingeteilt, jede mit ihrem eigenen Gruppenleiter, einem Gruppennamen und einem Lied, das sie am ersten Tag erfanden. Arabisches Frühstück mit Humous, Labane, Eiern und Wassermelone wurde von den Führern jeden Morgen um 8:00 Uhr serviert. Dannach trafen sich die Kinder um ihr Gruppenlied zu singen.

‚Team Warood “ hatte ein eigenes Maskottchen, Mahmoud, einen 12jährigen Jungen, besser bekannt als „Jackson „für seine Break-Dance-Einlagen. Er motivierte das Team am Morgen, indem er einige Michael Jackson Bewegungen in ihrer Mitte imitierte. Will Tantoco, ein Praktikant aus den USA, lehrte die Kinder „Roboter-Bewegungen“. Sie bedrängten ihn, wann immer sie ihn sahen, stolz ihm ihre „Roboter Fortschritte“ zu zeigen.

 

Jeden Morgen sprach Reem mit den Kindern über ihre Gefühle, über den vergangenen Tag und um ihnen das Programm für den neuen Tag zu erklären. An einem Tag genossen die Kinder eine große Hüpf-Burg und Wasserschlacht miteinander und scherzten mit ihren Gruppenleitern. Sie waren überrascht, dass „Khalto Reem“ bei diesen Späßen mitmachte und es zu genießen schien, dass sie mit Wasser bespritzt wurde.

AUSFLÜGE

Jede Exkursion brachte den Kindern eine Reihe von „das erste Mal, das ich jemals …“ Erlebnissen: erster Anblick des Meers, eines Bootes, des Flughafens! Auch der Anblick eines orthodoxen Juden in religiösem Gewand war neu für sie. Die Atmosphäre war voll von unschuldigem Lachen der Kindheit, Dutzende von Kinder klatschten und jubelten jedes Mal, wenn Sie etwas Neues sahen.

 

AL-QUDS.

Alle diese Kinder sind Muslime. Ihre Familien haben gewöhnlich großformatige gerahmte Bilder der Aksa-Moschee und des Felsendoms in ihren Wohnzimmern – jedoch die Kinder waren noch nie in Al-Quds (Jerusalem). Bei ihrer Exkursion gingen sie durch die Altstadt, durch den Souq (Markt) und in die Grabeskirche. Für sie war das eine erste Begegnung mit dem Christentum. Sie konnten die beiden monotheistischen Religionen in Verbindung bringen, denn im Islam ist Jesus als der Prophet Issa bekannt. Das Glanzlicht war natürlich der Haram-al-Sharif (Tempelberg). Die Kinder waren überwältigt von der schieren Größe, und da gerade, als die erste Gruppe die Moschee besuchte, das „Festival der Al-Aksa“ stattfand, war der Tempelberg voller Menschen. Bea Pempeit, Freiwillige im Dorf, eine Grundschullehrerin aus Deutschland, war erstaunt, wie diszipliniert die Kinder waren. „Sie hörten auf die Gruppenleiter! Es ist sehr anders als in Deutschland, wo man den Kinder die gleiche Sache immer und immer sagen muss und sie immer noch nicht hören – vor allem, wenn sie so jung sind.“. Sie fügt hinzu:“ Diese Kinder sind so unterschiedlich. Alles überrascht sie und macht sie glücklich. Sie verfügen über sehr wenig, im Hinblick auf die materiellen Dinge, und dennoch sind sie so glücklich. Vielleicht ist das anders, wenn sie zu Hause sind … “

 

JAFFA UND DAS MEER

Die Kinder konnten sich nicht zurückhalten auf dem Weg nach Jaffa („Wann sind wir da?“ „Sind wir schon da?“ „Also wann sind wir da?“- alle zwei Minuten). Auch wenn sie nicht viel über Jaffa wissen, die Chance das Mittelmeer zu sehen war berauschend. Sie hatten es, obwohl Tulkarem nur 15 km vom Meer ist, außer im Fernsehen noch nie gesehen. Dieser erste Blick auf das Meer löste Freude und Aufregung aus, mehr als die Gruppenleiter erwartet hatten. Die Kinder rasten über den Strand zum Wasser, tauchten ein, schwammen, lachten, schrieen, planschten. Zurück am Strand bauten sie Sandburgen. Aber ein Aspekt dieser Erfahrung war seltsam neu und merkwürdig: „Warum ist das Wasser salzig?“ fragte ein Junge, und „Es ist tut weh in meinen Wunden!“ schrie ein anderer. Nach der Strand-Erfahrung war die Bootsfahrt ein weiteres spannendes „erstes Mal“.

 

Für zwei Kinder aus dem zweiten Camp war Jaffa mehr als nur Meer und eine Bootsfahrt. Ihre Eltern sind Flüchtlinge aus Jaffa und hatten ihren Kindern immer Geschichten über Jaffa erzählt. Sie waren begeistert Orte zu sehen, von denen sie soviel gehört hatten, ohne gedacht zu haben, dass sie diese jemals zu sehen zu bekommen würden.

EXTRAS.

Als Überraschung gab es für die erste Gruppe noch eine Reise in den biblischen Zoo in Jerusalem und für die zweite Gruppe eine Reise in die Tropfsteinhöhle Soreq.

ES BRAUCHT EIN DORF!

Die Kinder und Familien des Dorfes wurden in diesem Jahr intensiv in das Camp-Programm eingebunden. Die Kinder der Grundschule waren zu den Abendveranstaltungen eingeladen. Sie spielten zusammen Fußball bis tief in die Nacht und lernten viel von einander. „Die Dorfkinder waren von den Volkstänzen (dabke) fasziniert, die am letzten Tag [von der zweiten Gruppe] gezeigt wurden, und sie versuchen immer noch sie zu imitieren“, bemerkt Raida Aishe-Khatib, eine Dorfbewohnerin und Englisch-Lehrerin in der Grundschule. „Unsere Kinder denken, es war schade, dass sie sie nicht unterrichteten, bevor sie uns verließen. Vielleicht werden wir beim nächsten Mal mehr Interaktion mit den beiden Kindergruppen haben, damit sie z.B. von einander solche Dinge lernen.“

 

Raida zeigte auch große arabische Gastfreundschaft und Freundlichkeit, als sie die Familien von Neve Shalom aufforderte, Kuchen zu backen und erklärte, dass dies eine nette Geste für die Kinder sei, die zum ersten Mal überhaupt von zuhause und von ihren Familien weg waren. „Es war etwas Schönes, das wir für sie tun konnten, eine Verbindung mit zuhause“, sagte sie. Bewohner und Verwaltung des Dorfes stimmten zu und antworteten mit einer Menge von Kuchen und Süßigkeiten.

ABSCHIED MIT LACHEN UND GESANG

Jedes der beiden Camps hatte unterschiedliche, aber gleichermaßen angenehme, letzte Abende gefeiert. Will Tantoco stellte über die erste Gruppe fest, dass für sie die letzte Nacht im Dorf die beste und bittersüßeste war. Es war ein großes Fest mit Tanz, Gesang, und Süßigkeiten. „Die Freiwilligen haben mit zwei Kuchen dazu beigetragen“, stellte er fest. „Ich glaube, ich habe 200 Bilder in der Nacht gemacht. Sie lehrten mich, wie man die „dabke“ tanzt. Wir alle lachten und tanzten, bis es weit über ihre Einschlafzeit war. Ich erinnere mich, wie ich in der Nacht wünschte, ich könnte sie alle mit Stipendien im Ausland studieren lassen, damit sie andere Teile der Welt sehen könnten. Arbeiten im Camp war eine der am meisten lohnenden Erfahrungen, die ich hatte, während ich in Neve Shalom arbeitete.“

 

Die zweite Gruppe führte palästinensische Volkstänze und ein Theaterstück auf, und obwohl an diesem Abend weniger Leute aus dem Dorf im Publikum saßen, war es für die anwesenden bewegend und beeindruckend. Mehr dazu unter:http://nswas.org/spip.php?article821″

Für die Kinder waren die Tage fantastisch. In ihrer Dankesrede faßte Iman, ein neunjähriges Mädchen aus Tulkarem, zusammen: „Dadurch sind viele meiner Träume wahr geworden … Jaffa zu sehen und Al-Quds, in einem Zug zu fahren und in einem Boot.“ Die Ferien boten den Jugendlichen Gelegenheit einige der unerträglichen Belastungen zu vergessen, die sie jeden einzelnen Tag auszuhalten haben. Sie brachten Freude, Kreativität und Hoffnung in das Leben dieser benachteiligten Kinder, von denen jeder eine Chance auf ein besseres Leben verdient hat. Aus der Sicht des Dorfes ist es schmerzhaft, ihnen eine angenehme Woche voller Freude zu schenken und sie dann in ihren traurigen Alltag zurückzusenden – aber ihnen so schöne Erlebnisse zu geben und Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist sinnvoller, als gar nichts zu tun.

 

Jeder Traum erfordert etwas Wirkliches um sich daran zu klammern, wie Efeu, das ein Gitter braucht um in Richtung Sonne zu klettern. Da die Kinder nun einmal erlebt haben, wie ein normales Leben aussieht, sei es auch nur für eine Woche, haben sie vielleicht eine bessere Idee, nach der zu streben sich lohnt, und mehr Kraft dies zu tun. Dies ist zumindest unsere Hoffnung für sie und ihre Familien.

Wir danken:

▪   den Deutschen Freunden von Neve Shalom/Wahat al-Salam und der Bruno-Hussar-Stiftung für einen weiteren Sommer großzügiger Finanzierung;

▪   den Mitarbeitern der Grundschule – Anwar Dawood, Reem Nashef, Raida Aishe-Khatib, Amal Skalla und Leah Klein;

▪   dem Camp Team – Mai Shbeta, Nadine Shbeta, Nadeen Nashef, Leyali Karaman-Abbas, Karem Ben Ishay Bairey, Tali Sonnenschein;

▪   der Dorf Jugend – Sama Daoud, Sami Manaa, Nur Najjar, Reem Haj-Yehya, Karaman und Ala-Abbas;

▪   den Freiwilligen und Praktikanten – Faryal Awan, Wilfredo Tantoco, Bea Pempeit, und Megan Cipperly;

▪   den Familien und Mitarbeitern für die gebackenen Kuchen, für die Teilnahme an den Aufführungen, für ihre großzügige Ermutigung und ihren guten Willen!

Vielen Dank an alle!

 


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